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Make-Whole-Klauseln bei Anleihen - rechtliche Anwendungsfragen (Stand: Dez. 2023)

Aktualisiert: vor 3 Tagen


Make-Whole-Klauseln gewähren dem Emittenten ein jederzeitiges Kündigungsrecht und ermöglichen ihm dadurch die vorzeitige Rückzahlung der Anleihe. Das kann für ihn insbesondere dann vorteilhaft sein, wenn das allgemeine Marktzinsnivau sinkt. Besonders häufig finden sich Make-Whole-Klauseln in den Anleihebedingungen von US-Anleihen. Im europäischen Rechtsraum erfreuen sich diese Klauseln nur bei Anleihen für professionelle Investoren großer Beliebtheit.


Bei Retail-Anleihen mit kleiner Stückelung (z. B. Nominalbeträge von 1.000 €) besteht jedoch Rechtsunsicherheit am Markt, ob ihr Angebot die Bereitstellung von Basisinformationsblättern (KID) gem. PRIIP-Verordnung voraussetzt, was zu einem Einbruch des Handelsvolumens von Unternehmensanleihen bei Privatinvestoren führte. Darüber hinaus werfen Make-Whole-Klauseln weitere Rechtsfragen auf, etwa bei der Reichweite von Privilegierungen von der Product Governance, sowie AGB-rechtliche Fragestellungen.



Funktionsweise von Make-Whole-Klauseln


Rechtlich sind Anleihen als Inhaberschuldverschreibungen einzuordnen, bei denen der Emittent kraft Urkunde ein Leistungsversprechen abgibt, welches gegenüber dem jeweiligen Inhaber zu erfüllen ist. Die Ausgestaltung der Leistungspflichten erfolgt in den Anleihebedingungen. Darin werden typischerweise Emissionsvolumen und -preis, Verzinsung, Laufzeit, Rückkauf- und Kündigungsmöglichkeiten, Rückzahlung und Besicherung geregelt. Hochzinsanleihen enthalten darüber hinaus regelmäßig besondere Regelungen, etwa zu speziellen Zusicherungen (sog. Covenants), Nachrangigkeit, Kündigungs- oder Rückkaufmöglichkeiten und Verstößen des Emittenten, die zu einer Kündigung bzw. Fälligstellung der Anleihe führen können (sog. Events of Default). Die Anleihebedingungen regeln Kündigungsrechte in der Regel sowohl für Gläubiger als auch für den Emittenten.


Die Make-Whole-Klausel gewährt dem Emittenten ein ordentliches Kündigungsrecht (sog. Early Redemption), welches er grundsätzlich jederzeit ausüben kann (sog. Make-Whole Call). Im Gegenzug wird der Anleihegläubiger aufgrund der Ausübung des vorzeitigen Rückzahlungsrechts entschädigt (sog. Make-Whole Premium), da ihm künftige Kuponzahlungen (Zinszahlungen) entgehen. Nach gesetzlicher Definition handelt es sich beim Make-Whole Premium um die Summe des Nettogegenwartwertes der verbleibenden Kuponzahlungen, die bis zur Fälligkeit zu erwarten sind, und dem Kapitalbetrag der zurückzuzahlenden Anleihe. In der Praxis ist darüber hinaus häufig auch eine zusätzliche Prämie vorgesehen (in der Regel 1%). Für die Ermittlung des Nettogegenwartwertes verbleibender Kuponzahlungen wird ein Referenzwert zugrunde gelegt, etwa die Rendite von Bundesanleihen.


Aus Sicht des Emittenten kann der Make-Whole Call eine Verbesserung seines Ratings und in der Folge günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten mit sich bringen, insbesondere wenn je nach Marktumfeld niedrigere Marktzinsen erreichbar sind. Allgemein ist eine vorzeitige Kündigung aus Sicht des Emittenten sinnvoll, wenn die Kosten von Refinanzierung und Make-Whole Premium niedriger sind als die Kosten, welche sich aus der Fortführung der Anleihe ergeben. Je nach Ausgestaltung im Einzelfall kann sich der Emittent durch einen Make-Whole Call auch möglicher nachteiliger Zusicherungen entledigen, welche er in den Anleihebedingungen gegeben hat, wie beispielsweise Beschränkungen bei der weiteren Aufnahme von Fremdkapital. Demgegenüber ist der Anleihegläubiger einem Reinvestitionsrisiko ausgesetzt, welches sich aus der Neuanlage des zurückgezahlten Kapitals ergibt. Bei gesunkenem Marktzins wird der Anleger mit einer niedrigeren Zinserwartung anlegen können. Die Make-Whole-Klausel soll die sich grundsätzlich widersprechenden Interessenlagen einem sachgerechten Ausgleich zuführen.



Privilegierung bei der Product Governance


Bei den Wohlverhaltenspflichten des WpHG zeigen sich einige Besonderheiten für Anleihen mit Make-Whole-Klausel. Konzepteure und Vertriebsunternehmen (d. h. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Finanzinstrumente zum Verkauf konzipieren und vertreiben) haben unter anderem Regelungen zur Product Governance zu beachten. „Product Governance“ beschreibt einen Komplex an Verhaltens- und Organisationspflichten. Konzepteure von Finanzinstrumenten haben ein internes Produktfreigabeverfahren durchzuführen, in dessen Rahmen unter anderem ein abstrakter Zielmarkt zu bestimmen und sicherzustellen ist, dass die Finanzinstrumente den Bedürfnissen dieses Zielmarktes entsprechen. Für den Zielmarkt ist der Kreis der Kunden zu bestimmen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument im Einklang stehen muss. Es ist auch ein etwaiger negativer Zielmarkt zu bestimmen, d. h. Kundengruppen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument nicht vereinbar ist. Die Bestimmung des Zielmarktes erfolgt nach den näheren Vorgaben der ESMA und BaFin anhand der Merkmale Kundentyp sowie Kenntnisse und Erfahrungen, finanzielle Situation einschließlich der Verlusttragfähigkeit, Risiko-Gewinn-Profil inklusive Risikotoleranz und Ziele und Bedürfnisse der Kunden. Nachdem der Konzepteur den abstrakten Zielmarkt bestimmt hat, bestimmt das Vertriebsunternehmen mit Blick auf seine Kunden den konkreten Zielmarkt. Er beurteilt die Vereinbarkeit der von ihm empfohlenen oder angebotenen Finanzinstrumente mit den Bedürfnissen seiner Kunden und berücksichtigt dabei auch den abstrakten Zielmarkt.


Bei Anleihen mit Make-Whole-Klauseln war im Rahmen der Zielmarktbestimmung besonders zu berücksichtigen, dass es sich um Instrumente mit gesteigerter Komplexität handelt. Zum einen ist der vom Anleger zu erwartende Ertrag aus der Anleihe unklar und zum anderen stellt das Recht des Emittenten zum Make-Whole Call ein derivatives Element dar. Zudem weisen die nach der PRIIP-Verordnung bzw. ihrer Delegierten Verordnung zu ermittelnden Risikoindikatoren regelmäßig höhere Werte aus, d. h. ein höheres Risiko, als bei klassischen Anleihen. Folglich waren an Privatkunden zumindest höhere Anforderungen an Kenntnisse und Erfahrungen zu stellen. Je nach Geschäftsmodell war auch eine erhöhte Risikotoleranz zu erwarten. Entsprechend konnten Anleihen mit Make-Whole-Klauseln regelmäßig nicht empfohlen bzw. nur mit entsprechendem Risikohinweis vermarktet werden.


Von diesen dargestellten Erschwernissen gibt es nun seit November 2021 gesetzlich geregelte Privilegierungen. Spezifische Vorgaben zur Product Governance gelten nicht mehr, sofern sich Wertpapierdienstleistungen auf Anleihen beziehen, die über keine anderen eingebetteten Derivate als eine Make-Whole-Klausel verfügen. Diese Privilegierung wurde europaweit umgesetzt. Der europäische Gesetzgeber wollte mit der Privilegierung die Rahmenbedingungen für die Kapitalbeschaffung durch Unternehmen verbessern. Make-Whole-Klauseln gelten, so der Gesetzgeber, in der Regel als sichere und einfache Produkte, die für Kleinanleger geeignet sind. Im Falle ihrer vorzeitigen Rückzahlung, schützt eine Anleihe mit keinem anderen eingebetteten Derivat als einer Make-Whole-Klausel Anleger vor Verlusten, indem sie sicherstellt, dass diesen Anlegern ein Betrag in Höhe des gesamten Nettogegenwartswerts der verbleibenden Kuponzahlungen und des Hauptbetrages der Anleihe gezahlt wird, den sie erhalten hätten, wenn die Anleihe nicht frühzeitig aufgekündigt worden wäre.


In der Praxis besteht eine Vielzahl von Ausgestaltungsvarianten von Make-Whole-Klauseln. Im Hinblick auf die gesetzliche Definition ergeben sich neue Rechtsunsicherheiten. Je nach Ausgestaltung stellt sich die Frage, ob das Make-Whole Premium noch unter die Definition fällt. Aufgrund von Aspekten des Anlegerschutzes dürfte die Definition in Zweifelsfällen eng auszulegen sein. Eine besondere Schlechterstellung der Anleger aufgrund eines Make-Whole Calls sollte sich grundsätzlich nicht ergeben. Letztendlich sind Make-Whole-Klauseln im Einzelfall zu prüfen. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ob auch klassische Anleihen ohne Make-Whole-Klausel (sog. Plain-Vanilla-Anleihen) der Privilegierung unterliegen können. Ein Erst-Recht-Schluss legt dies jedenfalls nahe. Denn wenn schon Anleihen mit derivativem Make-Whole-Element von der Product Governance ausgenommen werden, könnte dies auch für reine Plain-Vanilla-Anleihen anzunehmen sein. In der Praxis stellen sich vergleichbare Rechtsunsicherheiten auch bei anderen Klauseln, denen ein derivatives Element immanent ist.



Bereitstellung eines Basisinformationsblatts (KID) nach PRIIP-Verordnung?


Eine in der Praxis sehr relevante Rechtsfrage ist, ob für Anleihen mit Make-Whole-Klausel ein Basisinformationsblatt (KID) nach der PRIIP-Verordnung zu erstellen ist. Entscheidend ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen betroffene Anleihen als verpacktes Anlageprodukt (PRIP) gelten. Nach der Legaldefinition ist ein PRIP eine Anlage, einschließlich von Zweckgesellschaften im Sinne des Artikels 13 Nummer 26 der Richtlinie 2009/138/EG oder Verbriefungszweckgesellschaften im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe an der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates ausgegebener Instrumente, bei der unabhängig von der Rechtsform der Anlage der dem Kleinanleger rückzuzahlende Betrag Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von Referenzwerten oder von der Entwicklung eines oder mehrerer Vermögenswerte, die nicht direkt vom Kleinanleger erworben werden, unterliegt. Reine Plain-Vanilla-Anleihen unterfallen dieser Definition jedenfalls grundsätzlich nicht. Fraglich ist dies jedoch bei Anleihen, die ein derivatives Element wie die Make-Whole-Klausel enthalten.


Nach derzeitiger Auffassung der BaFin sind Anleihen mit Make-Whole-Klauseln grundsätzlich als PRIP zu klassifizieren. Denn die Berechnung des Nettogegenwartwertes und damit des zu zahlenden Betrags erfolgt in Abhängigkeit eines Referenzwerts (bspw. der Zins von Bundesanleihen). Allerdings lassen sich Make-Whole-Klauseln auch in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht der BaFin derart gestalten, dass die Anleihe nicht als PRIP einzuordnen ist. Das gemeinsame Komitee der europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) stellte 2019 noch eine differenzierende Betrachtung an. In ihrer jüngsten Stellungnahme aus dem April 2022 unterstrichen die ESAs gegenüber der Europäischen Kommission das Erfordernis, ausdrückliche Ausnahmen unter anderem für Anleihen mit Make-Whole-Klauseln in der PRIIP-Verordnung zu verankern. Ein Jahr später, im Mai 2023, hat die Kommission darauf reagiert und einen Vorschlag zur Änderung der PRIIP-Verordnung in das europäische Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dieser schließt nun ausdrücklich solche Instrumente aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus, bei denen die Schwankungen ausschließlich auf eine Make-Whole-Klausel im Sinne der MiFID II zurückzuführen sind. Sobald diese Änderungsverordnung in Kraft getreten ist, wird sich die grundsätzliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Erstellung eines Basisinformationsblatts teilweise erübrigen. Was vorerst bleiben wird, sind Rechtsunsicherheiten bei der konkreten Ausgestaltung von Make-Whole-Klauseln.



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